Land der begrenzten Möglichkeiten - Einwanderer in der Bundesrepublik

Türkenrazzia

von Stephan Fleschner nach einer wahren Begebenheit

In diesem Buch erschien im Jahre 1987 auf den Seite 156 und 157 die Kurzgeschichte "Türkenrazzia" des Mit-Autors Stephan Fleschner. Weitere mit Stephan Fleschner befreundete Autoren des Buches: Franco Biondi, Gino Chiellino, Sinasi Dikmen, Jusuf Naoum, Rafik Schami und Suleman Taufiq.

 

Copyright 1987 by Büchergilde Gutenberg

Frankfurt am Main, Olten, Wien

ISBN 3 763233202

 

Mensch sein muss der Mensch, auch als Polizist. Das ist meine Devise, nach der ich handeln will, auch im Polizeidienst, sagte ich mir immer noch, nach einunddreißig Jahren Schutzmanntätigkeit in einer Kleinstadt. Meine neuen Vorgesetzten, junge Akademiker mit wenig praktischer Erfahrung im Umgang mit den "Mitbürgern”, fassten den Entschluss, die älteren Kollegen vom Lande einmal den Polizeidienst in der Stadt kennenlernen zu lassen. Auch ich bekam den “Befehl”. Also, für einen Tag nach W.

 

“Na, heute abend wollen wir dem alten Bock mal zeigen, was ‚ne Türkenrazzia ist”, hörte ich ungewollt einen der jungen Kollegen sagen. Ich drehte mich im Polizeirevier nach ihm um. Er grinste hämisch und jonglierte mit seinem Gummiknüppel. “Türkenrazzia.” Na ja, ich kenne viele Türken in meiner Kleinstadt. Sie arbeiten schwer und machen in vielen Betrieben die Dreckarbeit. Viele kenne ich persönlich und habe ihnen schon in Behördenangelegenheiten geholfen. Für mich machen sie keinen Unterschied. Wie gesagt: meine Devise.

 

Der Kommissar vom Dienst gibt Weisung: “Heute Abend Türkenrazzia, Wernitzstraße 17, Türkenlokal. Ich will mindestens zehn ohne Aufenthaltserlaubnis, alles klar?” Wiese mindestens zehn? Meint er das ernst oder im Spaß? Ich kenne solche Bemerkungen aus meiner Kleinstadtstation: “Ich will mindestens zehn Strafmandate bis morgen früh sehen!” Der Knollenstatistik wegen! (Nach was können schon Akademiker die Qualität eines Polizisten beurteilen?)

 

Wir steigen in den Mercedes-Bus. Wir sind zwanzig Mann. Türkenwitze machen die Runde. Mein Gegenüber: “Kennst du den schon? Wenn du nachts durch die Frankenallee fährst, also bei der Streife, und du siehst einen Türken an einem Baum aufgehängt, was ist dann?” Ich zuckte mit den Schultern. “Dann hast du die Scheinwerfer zu hoch eingestellt!” Alles lacht. “Und nun bist du dran!” Sie lachen mich aus, weil ich keinen erzähle. Ich weiß keinen, obwohl ich schon öfter diese Witze gehört habe. Ich vergleiche sie mit denen, die ich als Soldat im Zweiten Weltkrieg hörte. Damals habe ich über diese Witze gelacht. Von Judenmorden wussten wir Soldaten nichts, konnten sie uns auch nicht in Wahrheit ausdenken!

 

Wir sind in der Wernitzstraße. “Hintereingang besetzen! Vordereingang umstellen! Fenster in den Obergeschossen mit Scheinwerfern anstrahlen! Ausweiskontrolle wie letztes Mal! Absitzen!” Unser Einsatzleiter, dem ich zugeteilt war, gab die Befehle. Was meinte er mit “wie letztes Mal”? Ich konnte ihn nicht mehr fragen. Er war schon auf dem Sprung ins Lokal. Ich lief ihm nach. Mir war wie bei einem Überraschungsangriff. Ich stand wie angewurzelt. Die Kollegen “ergriffen” die Lokalgäste, die vom Aussehen türkisch wirkten. Sie rissen sie am Sakko von den Stühlen hoch. Schubsten sie an die Wand. Traten mit den Füßen die Beine ihrer Opfer auseinander, während ein anderer mit schussbereiter Pistole die Leibesvisitation sicherte. Nun ging es der Reihe nach. Mann für Mann wurde kontrolliert. Da, auf einmal moserte ein Türke auf türkisch. “Halt’s Maul du Havak-Sau”, sagte der Kollege, der mit seinem Schnurbart mit einem Türken eine Gewisse Ähnlichkeit besaß, und trat ihm gegen das Bein. Eine blonde Frau deutscher Nationalität beschimpfte darauf den Polizisten. Der wandte sich ihr zu und verlangte ihren Personalausweis. Sie weigerte sich. “Das ist doch eine Türkenrazzia! Mit mir nicht!” Mein Kollege holte mit der Hand aus und schmierte ihr eine ins Gesicht. “Da! Du Türkenhure! Wird’s bald?” Sie sagte kein Wort mehr, zeigte ihren Ausweis. Mein Kollege ließ sie sitzen und sagte zu mir später im Einsatzbus: “Und du hältst den Mund. Das verstehst du nicht! Verstanden?” Er blickte mich kritisch an, aber ich sah auf den Boden und erwiderte nichts. So ein Rotzert! Die halten sowieso dicht, wenn’s zu einer Beschwerde kommen sollte. Ich werde mir alles notieren, nahm ich mir vor.

 

Verdammte Scheiß-Bullen! Die sechs Jahre bis zur Pensionierung werde ich noch rumkriegen!